Sihlquai55, zürich, Homestories II
9. bis 27. November 2012
Ausszug aus der Rede von Gabriela Lutz anlässlich der Vernissage
Sehr geehrte Damen und Herren, Liebe Bettina, Liebe Brigitt, Liebe Brigitte, Liebe Elfi
Mit homestories werden wir tagtäglich gefüttert durch die Medien. Wir sind mit diesem Genre journalistischer Berichterstattung, sei es in den Printmedien oder am Fernsehen, bestens vertraut: Eine prominente Person wird im privaten Bereich und oft im familiären Kreis, dargestellt. Dieses Gewähren an Einblick in die Privatsphäre, – nicht uneigennützig – bedient auf der Seite der Konsumierenden die Neugierde, und weckt Gelüste nach Nachahmung von Wohn- und Lebensstil.
Das Internet, youtube, die social media machen es möglich, dass jeder und jede mittlerweile seine homestory inszenieren kann. Andy Warhols Prophezeiung aus dem Jahr 1968: „In the future everyone will be world-famous for 15 minutes“ hat sich erfüllt.
Zweifellos: Die Homestory ist ein Produkt der Printmedien des 20. Jahrhunderts. Doch, lässt sich diese Bereitschaft, die private Welt der Öffentlichkeit vorzuführen, bereits in früheren Zeiten erkennen, lässt sie sich gar mit Blick auf die Kunstgeschichte verorten?
Im 17. Jahrhundert haben sich neu die kunstgeschichtlichen Gattungen entwickelt, wie die Landschaft und das Stilleben in Ergänzung zum biblischen und mythologischen Historienbild. Dies geschah vor dem Hintergrund einer bürgerlichen Gesellschaft, wie sie sich damals in den Niederlanden entwickelte. Das wirtschaftlich erstarkte Bürgertum nahm auch kulturellen Einfluss. Das Bedürfnis nach Repräsentation fand im Genre und im Intérieur seinen Ausdruck. Zu den grossen Meistern dieser neuen Gattungen und insbesondere des Intérieurs gehörten damals Jan Vermeer (1632–1675) und Pieter de Hooch (1629–1684). Beide malten sie (auch) im Auftrag von wohlhabenden Bürgern. Beliebt waren Intérieurs mit ihren Bewohnerinnen und Bewohnern, die sich beispielsweise zu sich zu prostenden Tischgesellschaften versammeln. Es gibt aber auch intime Darstellungen, mit einer stillenden Mutter im Schlafzimmer. Alle diese Menschen sind umgeben von Einrichtungs- und Kunstgegenständen, von den schönen Dingen, die auf Wohlstand weisen. Die häusliche Szene ist getaucht in warmes Licht – darin waren Vermeer und de Hooch grosse Meister.
Auch der französische Maler Jean-Siméon Chardin (1699–1779) – ebenfalls ein Meister des Intérieurs und des Genrebildes – zeigt – am Vorabend der französischen Revolution – Menschen in häuslicher Intimität, bei alltäglichen Verrichtungen in der Küche und bei unspektakulären Beschäftigungen, beim Zeitvertreib, etwa beim Bauen eines Kartenhauses.
In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, mit dem Aufschwung der künstlerischen Avantgardebewegungen, wird die private Welt, insbesondere auch die der Künstler, zu einem wichtigen Bildthema: Der Künstler mit seiner Familie am Esstisch oder oder ein intimes tête-à-tête sind beliebte Motive. Die Bilder von Manet, Monet, Renoir, Vuillard und Bonnard erzählen davon.
Und dann machen wir den Sprung in die Mitte des 20. Jahrhunderts. Die Künstler der Pop Art wissen das Intérieur zu schätzen. Damit lässt sich der neue Wohlstand vorführen, den der wirtschaftliche Aufschwung der 50er Jahre brachte: Coca Cola, Kühlschrank, Fernseher und Fastfood. Der britische Künstler Richard Hamilton hat mit seiner Collage „Just what is it that makes today’s homes so different, so appealing?“ im Jahr 1956 eine Ikone der Pop Art geschaffen. Die kleinformatige Arbeit zeigt ein modernes Appartement mit einem Bodybuilder und einer nackten Frau, die sich auf dem Sofa räkelt. Einige Jahre später erweitert der amerikanische Künstler Tom Wesselmann seine Bilder gar mit Objekten, mit glänzenden Kühlschranktüren und bunten Duschvorhängen zu Assemblagen. Sex appeal haben diese modernen Intérieurs mit den ultimativen Statussymbolen und den blonden langbeinigen Bewohnerinnen, meist mit einer Zigarette zwischen den Lippen.
Und heute, am 9. November 2012, sind wir alle der Einladung zur Eröffnung der Ausstellung Homestories gefolgt, zu der die vier Künstlerinnen Elfi Anderegg, Brigitte Fries, Brigitt Lademann und Bettina Solinger eingeladen haben – mit einer Einladungskarte, die uns auf den ersten Blick zur Annahme verführen könnte, dass sich hier für uns private Welten öffnen.
Was die Künstlerinnen uns präsentieren sind freilich keine Sofageschichten, sondern bildnerische Analysen des Phänomens «Homestory». Sie haben die Gattung Intérieur, also die Bühne aller Homestories, in einzelne Themenbereiche zerlegt, wie:
– Privatsphäre, Geborgenheit und Schutz – Bettina Solinger und Elfi Anderegg beschäftigen sich damit
– Der schönen privaten Welt als Ort der Repräsentation, der Selbstdarstellung widmet Brigitt Lademann ihre Recherchen
– Und für Brigitte Fries wird die Welt der Konsumgüter, resp. deren Verpackungen, zum Ausgangspunkt von Reflexion und Transformation
Brigitt Lademann lädt mit ihrer Arbeit ein zum Blick in private Wohnwelten. Sie hat Module aus Plexiglasscheiben von je 28 x 30 cm zu einem Architekturmodell
gefügt und hat Bildmaterial aus Zeitschriften wie »Schöner Wohnen« und auch eigene Fotografien von Intérieurs auf die Plexiglas–Wandflächen appliziert. Das Modell wird optisch durch zwei vertikale Achsen strukturiert mit Ansichten von prachtvollen, Schwindel erregenden Treppenhäusern, aus den verschiedenen Stilepochen. Wir haben Einblick in ein veritables »Wohnlabyrinth«, und denken uns beim Blick in die einzelnen Wohnzellen wohl unweigerlich die abwesenden Bewohnerinnen und Bewohner dazu, mit ihren beruflichen Tätigkeiten und ihren sozialen Zugehörigkeiten. Und wir können uns gleichzeitig unsere Favoriten unter den Wohnungseinrichtungen auswählen. Transparenz ist das Thema dieser Arbeit und Transparenz ist auch dem Material, dem Plexiglas eigen.